Susanne Abel – Stay away from Gretchen: Eine unmögliche Liebe (Rezension)
Inhalt
2015: Greta Monderath ist 84 und erkrankt zunehmend an Demenz, was ihrem eher selbstsüchtigen Sohn Tom, einem bekannten Kölner Nachrichtensprecher, gar nicht in den Kram passt. Mehr Interesse an seiner Mutter und deren Vergangenheit entwickelt er erst, als er Fotos aus ihrem Leben findet, auf die er sich keinen Reim machen kann – wer sind das dunkelhäutige kleine Mädchen und der dunkelhäutige Mann, den Greta als Toms Vater bezeichnet …?
Meine Meinung
„Stay away vom Gretchen“ – das war ein „Rat“ an amerikanische Besatzungssoldaten im Nachkriegsdeutschland und sollte sie davor warnen, sich mit deutschen Frauen einzulassen. Dass die Hauptfigur tatsächlich so (ähnlich) heißt, ist vor diesem Hintergrund natürlich doppeldeutig und damit klug gewählt.
Susanne Abel erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen und zieht in der Gegenwart von 2015 immer wieder Parallelen zwischen der aktuellen Flüchtlingskrise und Gretas Vergangenheit, in der sie nach dem 2. Weltkrieg mit ihrer Familie aus Ostpreußen fliehen musste und im besetzten Deutschland ebenfalls nicht überall willkommen war. Die Erzählungen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit fand ich sehr fesselnd, teils auch schwer erträglich – aber so war es ja leider wirklich und vieles kann und darf nicht unerwähnt bleiben. (Dennoch: Ich bin zwar keine Anhängerin inflationär eingesetzter Triggerwarnungen; hier möchte ich aber eine für sexuelle Gewalt und rassistische Äußerungen aussprechen, wenn jemand mit diesen Thematiken lieber gar nicht in Berührung kommen möchte.)
Interessant und informativ fand ich das Thema der sog. „Brown Babies“, eine Bezeichnung für die Kinder von (weißen) deutschen Müttern und afroamerikanischen Besatzungssoldaten, die sich nicht an die oben zitierte „Warnung“ hielten. Ich möchte hierzu an dieser Stelle nicht zu viel verraten, um nichts vorwegzunehmen, aber mir war die „besondere“ Behandlung dieser bemitleidenswerten Kinder so nicht bekannt. Hier konnte ich also etwas lernen, was mir insbesondere in Büchern mit geschichtlichem Hintergrund immer sehr gut gefällt.
Gegen alles, was ich an dem Buch mochte, fiel für mich leider der Gegenwartsstrang deutlich ab. Tom ist ein durch und durch unsympathischer Typ, und seine Entwicklung – man könnte fast schon sagen: Läuterung – war für mich nicht glaubhaft. Auch hatte ich beim Lesen den Eindruck, dass die Teile, die im Hier und Jetzt spielen, in einem ganz anderen Ton geschrieben sind als die Schilderungen aus der Vergangenheit. Vielleicht war das von der Autorin genau so beabsichtigt, um die Unterscheidung der verschiedenen Zeitebenen auch sprachlich zu unterstreichen. Mich hat es als (vermeintliches?) Stilmittel aber ziemlich irritiert.
Das Ende fand ich dann auch ein wenig dick aufgetragen. Hier wäre für meine Begriffe etwas weniger Pathos überzeugender gewesen.
Fazit
Ich habe schon sehr viele Romane gelesen, in denen es um den 2. Weltkrieg in all seinen Facetten geht, aber eher wenige zur Flüchtlingsthematik und das Schicksal der Überlebenden nach Kriegsende. Insofern bot „Stay away from Gretchen“ ein mir nicht so geläufiges Thema, das ich überaus interessant fand. Das Erzählen auf zwei Zweitebenen ist ja gerade in historischen Romanen sehr beliebt und ich mag es grundsätzlich auch sehr – hier hätte ich mir den Gegenwartsstrang allerdings etwas anders gestaltet gewünscht, damit das Leseerlebnis noch stimmiger geworden wäre. Dies ist allerdings keinesfalls ein Grund, von der Lektüre abzuraten. Alles in allem ist „Stay away von Gretchen“ ein packender Roman, der definitiv lesenswert ist.
Vor kurzem ist übrigens mit „Was ich nie gesagt habe: Gretchens Schicksalsfamilie“ eine Fortsetzung erschienen (Achtung: Die Rezension zum zweiten Teil kann Spoiler zum ersten enthalten!). Ich weiß nicht, ob das von Anfang an so geplant war, oder Susanne Abel diesen weiteren Band erst nach dem großen Erfolg des nunmehr ersten Teils verfasst hat. In jedem Fall bin ich ganz froh, dass ich vor der Lektüre von „Stay away from Gretchen“ nichts davon wusste, denn ich bin kein großer Fan von Buchreihen und hätte das „erste“ Buch in diesem Fall vielleicht gar nicht erst gelesen. Nun bin ich aber natürlich gespannt, wie die Geschichte weitergeht – oder vielmehr wohl, was alles noch aus Gretas Vergangenheit ans Tageslicht kommen wird.