Claire Winter – Kinder des Aufbruchs (Rezension)
Erscheinungsdatum: 02.11.2022
(Diana Verlag, 560 Seiten, ISBN 3453292669)
Erhältlich bei:
Inhalt
Band 2 der Geschichte(n) rund um die Zwillingsschwestern Emma und Alice: Sechs Jahre nach dem Mauerbau kommt es in West-Berlin zu immer stärkeren Protesten von Studenten, die zunehmend brutal niedergeschlagen werden. Alice berichtet als Journalistin für eher links ausgerichtete Zeitungen darüber und gerät mehr als einmal selbst in die Schusslinie, während Emma jemanden aus Alice‘ DDR-Vergangenheit wiedertrifft: Ist Irma Assmann, früher Alice‘ Freundin und inzwischen eine berühmte Sängerin, eine Spionin? Und wenn ja, auf welcher Seite steht sie eigentlich?
Julius und Max, die Ehemänner der beiden Schwestern, werden ebenfalls immer wieder von Menschen und Erinnerungen aus ihrem „früheren Leben“ heimgesucht. Auch privat geht es in beiden Familien turbulent zu. Als Alice mehr oder weniger wider Willen zur Fluchthelferin für Menschen aus der DDR wird, wird es zunehmend gefährlich – und zwar nicht nur für sie …
Meine Meinung
„Kinder des Aufbruchs“ ist die Fortsetzung von „Kinder ihrer Zeit“. Geht es im ersten Teil um das (getrennte) Aufwachsen der Zwillingsschwestern und ihr Dasein als junge Erwachsene in der Nachkriegszeit, sind sie nun im zweiten Band gestandene Frauen mitten im Leben, die sowohl von den politischen und privaten Ereignissen um sie herum beeinflusst als auch immer wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt werden.
Wieder einmal wechselt Claire Winter sehr häufig die Erzählperspektive, was einem Buch von erneut weit über 500 Seiten nur gut tun kann. Der Fokus liegt abwechselnd auf Emma und Alice, ihren Ehemännern und weiteren Figuren, deren Bedeutung sich zum Teil erst im weiteren Verlauf der Geschichte erschließt.
Einmal mehr hat die Autorin auch hier wieder reale Ereignisse wie die Studentenbewegung der sog. „68er“ mit den fiktiven Geschehnissen rund um die beiden Schwestern verknüpft – selbst Rudi Dutschke persönlich hat einen kleinen Gastauftritt als Bekannter von Alice. Auch hier gilt wieder, dass man sehr aufmerksam lesen muss, um alle Verstrickungen zu verstehen, insbesondere der Geheimdienste aus Ost und West, die erneut beide durchaus ambivalent gezeichnet sind – man ist eingeladen, sich sein eigenes Bild von den Methoden und dem Umgang mit Informationen beider Seiten zu machen, die sich in vielerlei Hinsicht gar nicht so sehr von einander unterscheiden.
Fand ich den Schluss von „Kinder ihrer Zeit“ ein wenig überladen, so war mir „Kinder des Aufbruchs“ am Ende im Gegenteil schon fast ein bisschen zu „unaufgeregt“. Zwar passierte auch hier noch einmal sehr viel, aber sehr tiefgreifende Geschehnisse wurden für meine Begriffe etwas zu beiläufig geschildert. Nicht zuletzt wirkte auf mich auch die eine oder andere aufgedeckte Verstrickung wie ein bisschen zu viel des Guten (oder Schlechten).
Dennoch fand ich sehr große Teile des Buchs sehr spannend und gut auserzählt, und sowohl die beiden Schwestern als auch ihre Familien wuchsen mir sehr ans Herz. Auch von ihnen ist niemand durchgängig sympathisch, aber dennoch waren die Beweggründe für das Handeln der einzelnen Figuren nachvollziehbar geschildert und ließen mich mit jeder von ihnen mitfühlen.
Fazit
Wieder einmal bleibt zu sagen: Claire Winter versteht ihr Handwerk, sowohl was die Recherche als auch das Verflechten realer geschichtlicher Ereignisse mit dem Schicksal fiktiver Figuren angeht. Man kann dennoch insbesondere in „Kinder des Aufbruchs“ sicher darüber streiten, ob der eine oder andere Handlungsstrang dabei ein wenig zu konstruiert geraten ist. Meinem Lesevergnügen tat dies aber keinen Abbruch.
Ich sehe diese Fortsetzung als ebenbürtig zum ersten Teil an – meiner Einschätzung nach kann man ihn übrigens auch lesen und verstehen, wenn man „Kinder ihrer Zeit“ nicht kennt, allerdings verpasst man dann ein ebenfalls sehr gutes Buch. 😉 Somit empfehle ich, beide Bücher in der richtigen Reihenfolge zu lesen und bin gespannt, ob vielleicht noch ein dritter Teil folgen wird – vielleicht mit einem größeren Zeitsprung bis hin zum Mauerfall …?
Bewertung
(Danke an das Bloggerportal für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. Keine weitere Vergütung erhalten.)