Katja Keweritsch – Agnes geht (Rezension)
Erscheinungsdatum: 15.03.2023
(Diana Verlag, 400 Seiten, ISBN 3453361482)
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Inhalt
Agnes ist 40, Mutter von zwei Teenagerkindern und lediglich in einem kleinen Teilzeitjob berufstätig, der nichts mit ihrer ursprünglichen Qualifikation zu tun hat – sie ist studierte Biologin. Ihr Mann Tom ernährt als angesehener und vielbeschäftigter Arzt die Familie.
Beide sind unzufrieden mit diesem Konstrukt und was es mit sich gebracht hat, und diese Unzufriedenheit bricht sich an einem für Tom sehr wichtigen Abend Bahn, den Agnes aus seiner Sicht nicht ausreichend würdigt. Im Gegensatz dazu wirft sie ihm vor, dass er nicht genug für sie und die Kinder da ist und sie sämtliche Haus- und Familienarbeit allein stemmen muss – der Streit eskaliert und Agnes geht, zunächst in ein Hotel, und dann von ihrem Wohnort Hamburg aus immer weiter an der Elbe entlang.
Ihr Ziel ist Berlin, wo sie einen interessanten Job in Aussicht hat – aber wo wird sie ankommen, und wie kommen Tom und die Kinder ohne sie zurecht …?
Meine Meinung
Katja Keweritsch hat mit „Agnes geht“ einen Roman zu einem äußerst aktuellen Thema verfasst: die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie, ungleich verteilte Care-Arbeit in der Familie, gut ausgebildete Frauen, die von der Gesellschaft in die Rolle des „Hausmütterchens“ gedrängt werden, auch wenn dies gar nicht ihrem ursprünglichen Wunsch entspricht.
Agnes‘ Weg, im doppelten Sinne, ist bildreich und anschaulich geschildert. Im Außen ist da die schöne Auenlandschaft, die einen dazu verlockt, selbst eine Elbwanderung machen zu wollen. Im Inneren hadert Agnes beständig damit, wie und warum ihr Leben so geworden ist, wie es heute ist. Abwechselnd damit erhalten wir auch immer wieder Einblicke in Toms veränderte Situation – er ist gezwungen, sich eine berufliche Auszeit zu nehmen, um den Haushalt und den Alltag mit den Kindern auf die Reihe zu bekommen, und hinterfragt ebenfalls, ob er eigentlich in dem Leben steckt, das er sich immer gewünscht hat, oder – im Grunde gar nicht viel anders als Agnes – einfach nur noch funktioniert.
Und tatsächlich habe ich bei Tom sogar mehr Entwicklung festgestellt als bei Agnes. Sicherlich soll sie als ungerecht behandelte Figur mehr Mitgefühl wecken, aber das hat bei mir leider nicht so ganz gezündet. Größter Knackpunkt: Agnes war mir leider einfach zu unreflektiert. Sie denkt zwar viel darüber nach, was in ihrem Leben falsch gelaufen ist, gibt im Endeffekt aber allein Tom die Schuld daran. Einen möglichen eigenen Anteil blendet sie komplett aus – sicher hätte es durchaus die Möglichkeit gegeben, früher zumindest ein klärendes Gespräch zu suchen und ihre Gefühle zu äußern, statt jahrelang alles in sich hineinzufressen, bis sich die aufgestaute Unzufriedenheit mit einem großen Knall entlädt.
Und seien wir ehrlich: An Geld mangelt es der Familie nicht, und somit hätte es sicher Optionen gegeben, einen Teil der Hausarbeit abzugeben – aber nein, der Versuch, eine Putzhilfe zu beschäftigen, scheiterte daran, dass Agnes vor deren Auftauchen immer noch selbst putzen „musste“. Das riecht dann doch auch etwas nach hausgemachten Problemen und Sich-selbst-im-Weg-Stehen. Eine weniger privilegierte Perspektive hätte dem Roman vielleicht besser zu Gesicht gestanden.
Die Geschichte ist ansonsten zwar gut erzählt, allerdings waren mir einige der Begegnungen, die Agnes unterwegs macht, ein bisschen zu zufällig und auch klischeehaft – ich möchte hier nicht ins Detail gehen, um nichts zu verraten, aber mir hätte es besser gefallen, wenn Agnes (noch) etwas mehr auf sich allein gestellt gewesen wäre.
Das Ende ließ mich ein wenig ratlos zurück – so ganz wird nicht klar, wie es nun weitergeht, aber vielleicht ist das auch bewusst offen gehalten und man kann sich eigene Gedanken dazu machen, welches Konstrukt in Zukunft vielleicht am stimmigsten wäre.
Fazit
„Agnes geht“ nimmt sich eines wichtigen und aktuellen Themas an – die Umsetzung hat mir leider nicht in allen Details gefallen. Dennoch war es ein gut zu lesender Roman und ich wollte stets wissen, wie er weiter- und ausgeht. Empfehlen würde ich das Buch aber eher Leserinnen, die sich möglicherweise stärker mit Agnes identifizieren können als ich es konnte.
(Danke an das Bloggerportal und den Diana Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. Keine weitere Vergütung erhalten.)