Polly Ho-Yen – The Mothers (dt. von Sonja Rebernik-Heidegger) (Rezension)
Erscheinungsdatum: 30.03.2023
(Piper Verlag, 432 Seiten, ISBN 978-3492706568)
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Inhalt
Im Großbritannien der Zukunft kann nahezu keine Frau mehr auf natürlichem Wege Kinder bekommen. Für die meisten ist der einzige Weg, schwanger zu werden, eine komplizierte medizinische Prozedur namens „Induktion“, die mit hohen Risiken verbunden ist und für viele Patientinnen tödlich endet. Um das Bevölkerungswachstum zu sichern, ermutigt der Staat Frauen dennoch ausdrücklich zu dieser Behandlung, und die, die sich nicht darauf einlassen möchten, werden als so genannte „OUTs“ gebrandmarkt, sozial geächtet und sanktioniert.
Doch selbst, wenn die „Induktion“ erfolgreich ist, ebnet sie nicht automatisch den Weg ins perfekte Familienglück: Eltern werden permanent von einer staatlichen Organisation namens OSIP überwacht und erhalten bei der kleinsten „Verfehlung“ im Umgang mit ihrem Kind Verwarnungen. Wenn innerhalb eines Jahres eine bestimmte Anzahl solcher Verwarnungen erreicht ist, wird ihnen ihr Kind entzogen und kommt in eine staatliche „Einrichtung“, in der es angeblich gesünder und sicherer aufwachsen kann als bei den Eltern.
Kit ist zuerst eine überzeugte OUT, also eine Frau, die sich der risikoreichen Induktionsbehandlung nicht unterziehen und damit keine eigenen Kinder bekommen möchte, sieht sie doch im engsten Umfeld, wie schmerzhaft die Kindesentziehung durch den Staat für die Eltern ist. Nach der Hochzeit mit ihrem Mann Thomas entscheiden sich die beiden aber schließlich doch noch für die Behandlung – mit dramatischen Konsequenzen …
Meine Meinung
Von Zeit zu Zeit lese ich gern Dystopien, und die Ausgangslage für diese Geschichte fand ich sehr spannend: Polly Ho-Yen entwirft in „The Mothers“ das Bild eines totalitären Regimes, das die eigentlich sehr privaten Themen Fortpflanzung und Elternschaft zur Staatsangelegenheit macht. Leider erfahren wir abgesehen vom Umgang mit diesen Lebensbereichen aber nur sehr wenig darüber, wie der Alltag der Menschen darüber hinaus von den strengen Regelungen beeinflusst wird.
Lediglich von so genannten „Sphären“ ist die Rede, die offenbar einerseits Smartphones als tragbare Kommunikationsgeräte ersetzen, andererseits aber auch als allgegenwärtige „Lautsprecher“ fungieren, über die die Regierung permanent ungefragt in Kontakt mit der Bevölkerung treten kann. Ich habe bis zum Schluss leider nicht richtig verstanden, was ich mir darunter vorstellen soll. Für meine Begriffe hätte es nicht geschadet, dies nicht allein der Fantasie der Leser*innen zu überlassen.
Stutzig machte mich außerdem, dass zwar alle Eltern Angst vor den Verwarnungen des OSIP und den unweigerlichen Konsequenzen haben, aber den Kindesentzug, wenn es denn dazu kommt, ganz selbstverständlich als gegeben hinnehmen und nicht einmal versuchen, sich dagegen aufzulehnen. Stehen drakonische Strafen auf Widerstand gegen die Staatsgewalt, oder warum traut sich offenbar kaum jemand, mit seinem Kind zu flüchten oder es zu verstecken? Das lässt sich allenfalls erahnen, mich hätte aber eine detailliertere Ausarbeitung der Hintergründe interessiert.
Die Geschichte wird aus Kits Sicht auf zwei Zeitebenen erzählt: Im „Jetzt“ erfahren wir schon sehr früh, dass sie schließlich tatsächlich noch Mutter geworden ist, ihr Kind aber ebenfalls weggeben musste und nun versucht, es zurückzuholen. Das „Damals“ erzählt die Vorgeschichte, als Kit selbst noch als „OUT“ lebte und ihre Schwester Mutter wurde. Ganz gelungen fand ich diesen Aufbau nicht immer: Im „Damals“ werden ab und an Fragen aufgeworfen, die das „Jetzt“ zuvor schon beantwortet hat, was den Spannungsbogen zeitweise etwas abflachen ließ.
Nichtsdestotrotz war es eine interessante Geschichte und die Auflösung am Ende fand ich geschickt gestaltet, auch wenn der ganz große Clou bei mir nicht so recht zünden wollte. Vielleicht blieben mir die Figuren und die Welt, in der sie leben, am Ende einfach doch zu fern für ein echtes Mitfühlen.
Fazit
„The Mothers“ ist ein im besten Sinne solider dystopischer Spannungsroman, von dem ich mir insgesamt noch etwas mehr erhofft hatte, weil die Grundidee wirklich sehr interessant ist und meiner Meinung nach eine umfassendere Ausgestaltung verdient gehabt hätte. Mit nur sehr wenigen handelnden Personen bietet die Geschichte stattdessen eine fast kammerspielartige Atmosphäre – das kann man mögen, ich hätte allerdings einen breiter angelegten Entwurf bevorzugt. Alles in allem ein Buch, das gut „zwischendurch“ gelesen werden kann.
(Danke an Netgalley und den Piper Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. Keine weitere Vergütung erhalten.)
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