Anna-Maria Caspari – Ginsterhöhe (Rezension)

Buchcover Anna-Maria Caspari Ginsterhöhe
(Copyright: Ullstein Paperback)

Erscheinungsdatum: 29.12.2022
(Ullstein Paperback, 400 Seiten, ISBN 978-3864932021)

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Inhalt

1919: Albert Lintermann, ein junger Bauer aus der Eifel, kehrt schwer gezeichnet aus dem Ersten Weltkrieg in sein Heimatdorf Wollseifen zurück. Nichts ist mehr so, wie es mal war: Seine Frau Bertha erträgt sein fast zur Unkenntlichkeit versehrtes Gesicht nicht mehr und wird depressiv, und auch der eine oder andere Dorfbewohner tritt ihm nicht mehr so unbefangen gegenüber wie früher. Aber es gibt auch Menschen, die weiterhin zu Albert stehen: allen voran Silvio, der Wirt der Dorfkneipe, und Leni, die Verlobte seines besten Freundes, der im Kampf neben ihm gestorben ist.

Auch im Dorf gibt es große Veränderungen: technischer Fortschritt im Großen wie im Kleinen einerseits, und andererseits die zunehmende Präsenz der ab Ende der 1920er Jahre immer stärker aufstrebenden Nationalsozialisten. Johann Meller, der „Vorzeige-Nazi“ aus dem Dorf, platzt beinahe vor Stolz, als mit der NS-Ordensburg Vogelsang eine NSDAP-Kaderschmiede dort errichtet wird. Im Zweiten Weltkrieg schließlich wird genau diese Tatsache Wollseifen zum Verhängnis: „Dank“ der Burg gerät das Dorf auch in den Fokus der Alliierten …

Meine Meinung

Anna-Maria Caspari erzählt in „Ginsterhöhe“ die Geschichte(n) fiktiver Dorfbewohner*innen vor einem historisch wahren Hintergrund: Wollseifen sowie die Burg Vogelsang gab es wirklich, und das Schicksal des Dorfs ist in diesem Roman tatsachengetreu wiedergegeben. Die Recherche erfolgte, wie im Nachwort erläutert wird, auch unter Einbeziehung von Zeitzeug*innen.

So spannend ich den Ansatz und den Bezug zu realen Ereignissen auch fand: Wegen oft wechselnder Erzählperspektiven und teilweise sehr großer Zeitsprünge waren die – in der Realität wahrscheinlich eher schleichenden – Veränderungen des Dorfs für mich nicht an allen Stellen greifbar. Zwar bilden Albert und seine Familie eine Art Klammer um beinahe alle Geschehnisse rund um das Dorf, aber richtig nah kam ich auch ihnen nicht. Die Erzählweise war mir hierfür zu distanziert und letztlich auch zu allwissend – mehr als einmal entstand bei mir aufgrund der vielen Szenenwechsel der Eindruck, eher ein Drehbuch für einen dreiteiligen Fernsehfilm zu lesen als einen Roman.

Dabei werden viele Themen nur angerissen, die Stoff für ausführlichere Darstellungen geboten hätten: Euthanasie, Antisemitismus und Vertreibung treffen zwar mehrere (Neben-)Figuren, werden aber eher nebenbei abgehandelt, während persönliche Schicksalsschläge wie der tragische Unfalltod eines Kindes ungleich mehr Platz in der Geschichte finden, den sie meiner Meinung nach nicht gebraucht hätten. An solchen Stellen war mir dann nicht mehr ganz klar: Wollte die Autorin nun eine Familiengeschichte vor historischem Hintergrund erzählen, oder soll eigentlich letzterer im Vordergrund stehen und sind die Figuren nur Mittel zum Zweck, um ihn zu illustrieren?

Viele der Charaktere waren mir zudem ein wenig zu eindimensional und klischeebeladen gezeichnet: Der böse Nazi hat natürlich kalte stechende Augen und ist schon ab seinem ersten Auftauchen als solcher identifizierbar (obwohl zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede vom Nationalsozialismus ist), während der Wirt Silvio, ein lebenslustiger Italiener, immer nett und hilfsbereit ist und hervorragend kochen kann. Das sind nur zwei Beispiele für Stereotype, die ich leider nicht ganz gelungen dargestellt fand. Ein wenig mehr Tiefe und Ambivalenz hätten der einen oder anderen Figur meiner Meinung nach gut getan.

Alles in allem fand ich „Ginsterhöhe“ zwar gut zu lesen und die Geschichte von Wollseifen wirklich interessant, aber für mich flachte der Spannungsbogen leider auch immer wieder ab, sodass insgesamt der Eindruck einer etwas blassen Lektüre zurückbleibt.


Thalia
(*)

Fazit

Ich mag historische Romane, gerade auch, wenn sie in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen spielen – findet man darin doch erschreckend oft Parallelen zum heutigen Geschehen. „Ginsterhöhe“ blieb mir hierfür jedoch an vielen Stellen zu sehr an der Oberfläche. Ein Fokus auf einen kleineren Personenkreis und eine hier und da etwas gemächlichere Erzählweise, statt auf 400 Seiten durch 30 Jahre zu „hetzen“, wären der Geschichte meiner Meinung nach zuträglich gewesen. Dennoch halte ich das Buch für lesenswert, denn das inzwischen nicht mehr existierende Dorf Wollseifen hat es verdient, in Erinnerung zu bleiben.

(Danke an Netgalley und Ullstein Buchverlage für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. Keine weitere Vergütung erhalten.)

Bewertung

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