Celeste Ng – Unsre verschwundenen Herzen (dt. von Brigitte Jakobeit) (Rezension)
Erscheinungsdatum: 05.10.2022
(dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, 400 Seiten, ISBN 3423290358)
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Inhalt
Die USA in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft: Nach einer Krise, die das Land in tiefe Unruhen gestürzt und die Gesellschaft gespalten hat, ist seit etwa zehn Jahren ein Gesetz namens PACT in Kraft. PACT steht für „Preserving American Culture and Traditions“, also den Schutz der amerikanischen Kultur – und damit ganz automatisch für die Ausgrenzung vermeintlich „Andersdenkender“. Mehr oder weniger offen wurde China die Schuld für die Krise in die Schuhe geschoben, und deswegen werden insbesondere asiatisch-stämmige Menschen diskriminiert. Das geht so weit, dass ihnen sogar ihre Kinder weggenommen und in Pflegefamilien untergebracht werden, wenn sie sich – offen oder nur augenscheinlich – gegen die Statuten von PACT richten.
In der Familie des zwölfjährigen Noah, genannt Bird, ist es anders: Nicht er ist aus seiner Familie verschwunden, sondern seine Mutter. Margaret hat chinesische Wurzeln und hat Gedichte verfasst, die im Zuge der Proteste gegen PACT große Bedeutung gewonnen haben: Überall protestieren Menschen mit dem Slogan „Our missing hearts“, dem Titel eines ihrer Werke, gegen die Kindesentzüge. Bird versteht nicht ganz, was es mit all dem auf sich hat, aber als auch seine Freundin Sadie verschwindet und er eine mysteriöse Nachricht erhält, die anscheinend von seiner Mutter stammt, begibt er sich auf die Suche nach ihr …
Meine Meinung
Ich habe sehr gerne die beiden ersten Romane „Was ich euch nicht erzählte“ und „Kleine Feuer überall“ von Celeste Ng gelesen, zwei klassische Familiendramen, die einen weiten Bogen in die Beziehungsgeflechte und das Innenleben der Protagonist*innen spannen. Auch auf den neuen Roman „Unsre verschwundenen Herzen“ hatte ich mich also sehr gefreut und fand insbesondere den dystopischen Ansatz sehr interessant, der versprach, über die reine Familiengeschichte hinauszugehen.
Leider hat mich die Lektüre etwas enttäuscht zurückgelassen. Das Buch ist in drei Teile unterteilt: Der erste schildert zunächst die Lebensumstände von Bird und seiner Freundin Sadie und verdeutlicht die Lage der Gesellschaft, ohne dass zunächst aufgedeckt wird, was es mit der großen Krise auf sich hatte und wie es eigentlich zu PACT kam. Es dauerte lange, bis Bird mit der Suche nach seiner Mutter beginnt – für mich leider zu lange. Ich fand über weite Strecken keinen rechten Zugang zu der Geschichte und kam einfach nicht in einen Lesefluss, zu ausschweifend waren mir die Schilderungen der Umgebung und scheinbar nebensächlicher Begebenheiten, während die eigentliche Story nicht wirklich vorangebracht wurde.
Der zweite Teil, in dem wir mehr zur Vorgeschichte der viel zitierten Krise und der Entstehung von PACT erfahren, weckte mein Interesse zwar stärker, aber leider flachte dies im dritten Teil auch schon wieder ab. Ich konnte mich nicht des Gefühls erwehren, dass „gleich“ noch etwas Spannendes passiert oder aufgedeckt wird, ohne dass das letztlich – für meine Begriffe – der Fall war.
Weder Bird noch seine Eltern haben mir als Figuren besonders zugesagt oder meine Sympathie geweckt, dazu waren sie mir zu fahl und in gewisser Weise auch zu eindimensional gezeichnet. Die Hintergründe zu PACT waren interessant zu lesen und hätten viel Potenzial für eine spannende Geschichte geboten – leider wurde aus meiner Sicht viel davon verschenkt.
Fazit
Die Idee zu einer Dystopie, die erschreckenderweise auch gar nicht so weit entfernt von der heutigen Realität zu liegen scheint – man denke nur an die Diskriminierung „asiatisch“ aussehender Menschen gerade zu Beginn der Corona-Pandemie -, rechne ich Celeste Ng hoch an. Sicher sind hier auch zahlreiche persönliche Erfahrungen eingeflossen, da die Autorin selbst chinesische Wurzeln hat. Es hätte eine spannende und packende Geschichte werden können, die mich aber leider nicht ganz erreicht hat. Allen, die noch nichts von Celeste Ng gelesen haben, empfehle ich daher, mit ihren anderen Romanen zu starten.
Bewertung
(Danke an den dtv und das Netgalley für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. Keine weitere Vergütung erhalten.)