Minu D. Tizabi – Revolution morgen 12 Uhr (Rezension)
Erscheinungsdatum: 19.07.2021
(Blumenbar, 224 Seiten, ISBN 978-3-351-05080-1)
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Inhalt
Sommer 2018: Sean ist Anfang 20, Halbfranzose und voller Vorfreude auf die Fußball-WM in Frankreich mit dem Gastgeber als Titelfavoriten. Für ein Public Viewing des Finales in Paris gewinnt er sogar Karten – einfach losfahren kann er aber nicht, denn er ist wegen Panikattacken und Depressionen Patient in einer Psychiatrie.
„Nebenbei“ erhält er auch noch seltsame Anrufe aus Frankreich und analysiert nicht nur diese, sondern auch sich selbst, die Welt und seine Mitpatient*innen. Seine Reise tritt er schließlich trotzdem noch an – aber wo wird er ankommen?
Meine Meinung
„Revolution morgen 12 Uhr“ war für mich ein besonderes Buch. Minu D. Tizabi hat in ihrem Debütroman einen lebensechten und sympathischen Protagonisten geschaffen, in den ich mich gut hineinversetzen konnte. Wir erleben in diesem Buch alles durch Seans Brille, und analog zu seiner Reise habe ich es als Trip durch seine Psyche empfunden.
Der Roman gliedert sich in zwei Teile: Seans Aufenthalt in der Psychiatrie und schließlich der Roadtrip, der ihn zusammen mit ein paar Mitpatient*innen quer durch Europa führt. Während der erste Teil eher mit der Schilderung von Seans Innenleben aufwartete, wurde der zweite dann ziemlich rasant. Ich fand den Aufbau geschickt gewählt, denn man lernte Sean zunächst gut kennen, um ihn dann fast atemlos auf seiner Reise zu begleiten.
Mir stellte sich beim Lesen mehr als einmal die Frage, ob alle Schilderungen tatsächlich der (objektiven) Realität entsprachen, oder ob Sean sich das eine oder andere nur einbildete. Da Sean als Hauptfigur außerdem sehr um sich selbst kreist, blieben die anderen Figuren für mich etwas blass. Ich muss zugeben, dass ich sie auch nicht gut unterscheiden konnte (außer der einen oder anderen Person, die für Sean im Laufe der Zeit immens wichtig wurde).
Die Sprache des Romans habe ich als bildreich, oft nahezu poetisch, aber trotzdem sehr lebensnah empfunden. Viele Sätze wollte ich zweimal lesen, manche würden sich dazu eignen, sie sich übers Bett zu hängen (allein der Titel!). Eingestreut wurden auch immer mal wieder kleine Zitate aus Liedern, aber sehr wohldosiert und immer in den Kontext passend. Auch zum Lachen gab es hier und da etwas, und zwar auf sehr feinfühlige und warmherzige Art. Weder Sean noch die anderen Patient*innen der Psychiatrie wurden dadurch der Lächerlichkeit preisgegeben.
Die Geschichte habe ich mit Spannung verfolgt, fand sie alles in allem aber etwas wirr. Am Ende blieben für mich noch einige Rätsel ungelöst. Das fand ich etwas schade, da für meine Begriffe ein paar Fäden ins Leere liefen, deren Auflösung ich mir noch schlüssiger gewünscht hätte.
Fazit
Alles hängt mit allem zusammen – das ist wohl die Kernaussage dieses Buchs. Und obwohl ich das grundsätzlich durchaus glauben mag, gab es mir in „Revolution morgen 12 Uhr“ doch auf der einen Seite ein paar Zufälle (oder eben Nicht-Zufälle?) zu viel. Und auf der anderen erschloss sich mir, wie schon gesagt, der ganz große Zusammenhang zwischen allen angefangenen Fäden dann auch wieder nicht.
Dennoch habe ich das Buch sehr gern gelesen. Mit nur 224 Seiten ließ es sich gut „weglesen“, war dabei aber keinesfalls trivial. Ein schönes Leseerlebnis, das mich in den ungewöhnlich heißen Sommer 2018 zurückversetzte (auch wenn ich in selbigem ganz andere Dinge erlebt habe als der Protagonist 😉 ).
Und übrigens: Man muss sich nicht für Fußball interessieren, um dieses Buch zu mögen. Die WM bildet zwar einen roten Faden und vielleicht ist es hilfreich, den einen oder anderen (französischen) Spielernamen schon mal gehört zu haben, der hier genannt wird, aber es ist definitiv kein Fußballbuch. Nützlich sind beim Lesen eher Offenheit und Interesse gegenüber psychischen Erkrankungen.