Verena Keßler – Eva (Rezension)

Buchcover Verena Kessler Eva
(Copyright: Hanser Berlin)

Erscheinungsdatum: 20.03.2023
(Hanser Berlin, 208 Seiten, ISBN 3446275886)

Erhältlich bei:

Inhalt

Vier Frauen sind auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema Mutterwerden-/sein beschäftigt: Die titelgebende Eva ist Lehrerin und plädiert öffentlich dafür, dass aufgrund der Klimakrise niemand mehr Kinder in die Welt setzen sollte. Dafür wird sie im Internet und letztlich sogar auch persönlich angefeindet und bedroht.

Sina versucht seit Jahren vergeblich, schwanger zu werden, zweifelt aber daran, ob das überhaupt ihr ureigenster Wunsch oder doch nicht bloß der ihres Partners ist.

Ihre Schwester Mona ist eher ungeplant in die Mutterrolle gerutscht, hat inzwischen aber drei Kinder und hinterfragt in einem gemeinsamen Urlaub mit Sina ebenfalls, ob das Leben, das sie lebt, eigentlich das ist, das sie immer wollte.

Und dann ist da noch eine vierte Frau, deren Namen wir nicht erfahren: Ihr Kind ist verstorben und ihre Geschichte ist teils auf subtile, teils auf essentielle Art mit den Geschichten der anderen Frauen verstrickt.

Meine Meinung

Verena Keßler erzählt in vier längeren Kapiteln jeweils aus Sicht einer ihrer vier Protagonist*innen, die alle miteinander verwoben sind: Die Verbindung zwischen den Schwestern Sina und Mona ist natürlich offensichtlich, aber Sina lernt auch Eva kennen, die sie als Journalistin zu ihren kontroversen Ansichten interviewt – und genau dieses Interview tritt schließlich den Shitstorm gegen Eva los. Die namenlose Frau im letzten Kapitel entpuppt sich als Monas Nachbarin und ehemalige Kollegin von Eva, die ebenfalls einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Reaktionen rund um Evas öffentliche Äußerungen nimmt.

Mich haben hierbei die Geschichten der beiden Schwestern und deren Verbindung zueinander am meisten interessiert. Die unterschiedlichen Lebensentwürfe der beiden scheinen weit voneinander entfernt, überschneiden sich aber doch in existenziellen Punkten. Dies wird insbesondere in dem gemeinsamen Urlaub der beiden deutlich, der aus Monas Sicht erzählt wird. Und über all ihren Gedankengängen pendeln auch Evas Thesen: Ist es überhaupt noch sinnvoll, in diese Welt Kinder zu setzen bzw. gesetzt zu haben? Was bedeutet das für mich persönlich, meine Beziehung, aber auch für die Kinder selbst und letztendlich unseren ganzen Planeten?

Das Kapitel über Eva wird als einziges aus der dritten Person erzählt, was zu ihr ein wenig mehr Distanz schafft als zu den anderen Hauptfiguren. Dennoch erfahren wir auch über sie eine Menge: Eva ist überzeugt von ihrer Sache und tritt deshalb dafür ein. Die Konsequenzen der Veröffentlichung ihrer radikalen Thesen konnte sie vielleicht im Vorfeld nicht überblicken und leidet darunter, wirkt manchmal verzweifelt und fast schon mutlos. Dass alles gut wird, selbst wenn niemand mehr Kinder in die Welt setzt, kann sie auch dem Nachbarsmädchen Josi nicht versprechen, das sich ungefragt in ihr Leben drängt. Aber vielleicht gibt es doch noch ein wenig Hoffnung, wenn die, die schon da sind, für die möglicherweise entscheidenden Themen sensibilisiert werden?

Die Geschichte der vierten Frau schließlich spielt in einer – allerdings nicht allzu fernen – Zukunft, etwa zehn Jahre nach den ersten drei Geschichten, wie am Alter von Monas Kindern deutlich wird. Anhand eines alten Rätsels, das ihr vor vielen Jahren ihr Vater gestellt hat, ohne ihr die Lösung zu verraten, wird deutlich: Vielleicht gibt es gar keine Lösung, weder zu diesem Rätsel noch zu der großen Frage, ob wir die Klimakatastrophe noch abwenden können, sei es nun durch Geburtenstopp oder irgendeine andere Maßnahme.

„Eva“ behandelt neben dem großen Thema Klimakrise auch feministische Themen. Die in dem Roman vorkommenden Männer hinterfragen bei weitem nicht so viel wie ihre Partnerinnen – Sinas Partner Milo will zum Beispiel einfach Kinder, „weil jeder welche will und man das halt so macht“, während Sina mit all den Prozeduren hadert, die die Schwangerschaft herbeiführen sollen, die sich auf natürlichem Wege nicht einstellt. Monas Mann „scherzt“ (offenbar sogar prophetisch), im Falle einer Trennung sei sie ja nicht allein, denn natürlich würde er ihr „die Kinder da lassen“. Evas langjährige Affäre gründet eine Familie mit einer anderen Frau, und der Vater des verstorbenen Kindes der vierten Frau kommt erst gar nicht vor. Quintessenz: Mit der „Kinderfrage“ sind zumindest die Frauen in diesen Geschichten am Ende irgendwie doch immer allein (gelassen), obwohl sie uns alle etwas angeht.

So lässt einen dieser Roman mit viel Stoff zum Nachdenken und unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten zurück – eine unbequeme, letztlich aber sehr bereichernde Lektüre zu verschiedenen mehr als aktuellen Debatten.

Thalia
(*)

Fazit

Verena Keßler stellt in „Eva“ die große Frage nach dem Sinn des Kinderkriegens und damit letztendlich auch nach dem Sinn unserer Existenz, ohne klare Antworten zu liefern – wie auch. Es gibt nicht die eine Antwort oder die eine Lösung, und die Frage ist weder rein individuell noch rein kollektiv zu beantworten. Ein intelligent konstruierter Roman zu aktuellen Themen, die uns alle etwas angehen.

(Danke an Hanser Berlin und Netgalley für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. Keine weitere Vergütung erhalten.)

Bewertung

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